Politik

 
 


 
05. Dezember 2006
 

STEINMEIER IN DAMASKUS

Syrien will von Hilfe profitieren

Von Gabriela Keller , Damaskus

Zum ersten Mal seit über zwei Jahren ist ein deutscher Außenminister in Damaskus gewesen. Gegenüber Präsident Assad fand Frank-Walter Steinmeier deutliche Worte: Nur, wenn Damaskus die Hisbollah im Libanon mäßigt, kann Syrien auf Unterstützung zählen. Doch Damaskus hielt sich mit Zusagen zurück.

Damaskus - Die Anspannung lag schwer über dem Gesicht von Frank-Walter Steinmeier. Syrien müsse "alles unterlassen, was zu einer Destabilisierung des Libanon führen könnte", sagte der Bundesaußenminister in Damaskus, der Endstation seiner viertägigen Reise durch den Nahen Osten. Sichtlich stand der Chefdiplomat noch unter dem Eindruck der protestierenden Massen, die am Wochenende das Regierungsgebäude in Beirut eingekesselt hatten. Syrien wird vorgeworfen, die Proteste zu organisieren, um die libanesische Regierung zu destabilisieren.

Außenminister Steinmeier in Syrien: Klare Forderungen an Damaskus
REUTERS

Außenminister Steinmeier in Syrien: Klare Forderungen an Damaskus

So wurde der Chefdiplomat in Damaskus ungewöhnlich deutlich - aus Delegationskreisen hieß es, er habe seinem Amtskollegen Walid al-Muallim klare Forderungen gestellt: Nur, wenn Syrien seinen Einfluss auf die radikal-islamische Hisbollah mäßigend nutzt, wird Europa Syrien helfen, den Ausweg aus der internationalen Isolation zu finden.

Nach seinem Treffen mit Muallim am Morgen trat Steinmeier den Weg zum Präsidentenpalast auf einem Hügel hoch über Damaskus an: Zwei Stunden - doppelt so lange wie geplant - saß der Minister mit dem syrischen Regierungschef in einem Besprechungszimmer mit Panoramablick über die Stadt, um Baschar al-Assad von der Notwendigkeit eines Kurswechsels zu überzeugen. Nach dem Treffen betonte Steinmeier - an Muallim gewandt: "Ihr Land ist ein wichtiger Faktor in der Region, und wenn Sie eine konstruktivere Rolle finden, haben Sie in Deutschland einen Partner, der Sie darin unterstützt."

Syrien war in die völlige Isolation gerutscht, als das Regime im Februar 2005 unter den Verdacht geriet, für die Ermordung des libanesischen Ex-Ministerpräsidenten Rafik al-Hariri verantwortlich zu sein. Zudem wird Syrien vorgeworfen, radikale Gruppen wie Hamas und Hisbollah sowie die Aufständischen im Irak zu unterstützen.

Doch nach dem Libanonkrieg im Sommer dieses Jahres setzt sich nun mehr und mehr die Ansicht durch, dass Frieden in der Region nur mit Hilfe Syriens zu erreichen ist. Dennoch blieb Steinmeiers Reise ein heikler Vorstoß: Nachdem sich der Chefdiplomat im August zur Absage eines Treffens gezwungen sah, weil Präsident Assad Israel als "Feind" bezeichnete und den "Sieg" der Hisbollah bejubelte, ließ er bis zuletzt im Unklaren, ob er diesmal tatsächlich in Damaskus eintreffen würden.

Syrien wiegelt ab

Damaskus hält sich mit Zusagen weiter zurück. "Ich versichere Ihnen, dass Syrien sich in die internen Angelegenheiten des Libanon nicht einmischt", wiegelte Muallim ab. Eindeutig ergriff derweil die staatliche Zeitung "Syria Times", die als Sprachrohr des Regimes gilt, am selben Tag Partei für die Demonstranten: Die Regierung in Beirut bezeichnete das Blatt als illegitim, die Politik im Nachbarland sei bestimmt von "einigen defätistischen Gruppen, die sich unglücklicherweise dem US-israelischen Diktat unterwerfen und den Ausverkauf der Rechte und Interessen des libanesischen Volkes betreiben."

Syrien will dem Westen nur helfen, wenn es entscheidende Vorteile daraus ziehen kann. "Deutschland und auch kein anderes europäisches Land kann Syrien bieten, was wirklich wichtig wäre", sagt Aiman Abd Nur, reformorientiertes Mitglied der regierenden Baath-Partei. "Europa hat nicht die Möglichkeit, Druck auf Israel auszuüben."

Denn Syriens oberste Priorität ist die Rückgewinnung der Golan-Höhen, die seit 1967 unter israelischer Besatzung stehen. Vertrauen auf den guten Willen der internationalen Gemeinschaft habe Syrien nicht mehr. Eine Perspektive auf den Golan könnten Syrien nur die USA verschaffen - und Amerika lehnt es weiter ab, mit dem "Schurkenstaat" Syrien in Kontakt zu treten.

Dabei hätte Syrien durchaus die Möglichkeit, mäßigend auf radikale Kräfte einzuwirken, etwa im Irak. "Syrien hat gute Kontakte zum Schiitenführer Muktada al-Sadr, zu Politikern, Stämmen und Teilen der Aufständischen", sagt Nur. "Das heißt zwar nicht, dass wir den Konflikt alleine lösen können, aber wir können unseren Einfluss nutzen."

"Abwarten und positive Signale senden"

Doch dazu könnte Damaskus schon aus eigenem Interesse gezwungen sein: Zwar habe Syrien die Unruhen im Irak direkt nach dem Krieg durchaus angestachelt, erklärt ein Experte, der anonym bleiben will. "Syrien wollte die Amerikaner um jeden Preis scheitern sehen. Indem sie die Krise anheizten, verhinderten sie, dass die USA dort eine tragfähige Demokratie aufbauen - und danach womöglich das Regime in Damaskus zu Fall bringen."

Doch gleichzeitig hat sich die bisherige Strategie als zweischneidiges Schwert erwiesen: Die brutale Raserei im Irak ist längst nicht mehr kontrollierbar und könnte leicht über die Grenze schwappen. Vor allem muss Syrien das Auseinanderfallen des Nachbarstaates fürchten: Sollten die irakischen Kurden Autonomie erreichen, könnten sich auch die syrischen Kurden zum Kampf nach Unabhängigkeit ermutigt sehen.

Doch ehe Syrien nicht eine Aussicht auf die Rückgewinnung des Golan geboten bekommt, würde das Land dem Westen nicht maßgeblich entgegen kommen, meint Aiman Abd al-Nur. "Die Regierung wird abwarten und weiter positive Signale senden, dass sie bereit wäre zu kooperieren."





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