| Aktuell | Berlin demnächst schwul regiert?
8.Juni 2001, aktualisierte Fassung, 13:46 Uhr
Berlin demnächst schwul regiert?
SPD-Spitzenkandidat Klaus Wowereit hat sich geoutet
| Klaus Wowereit sorgt mit seinem Outing für einen spannenden Wahlkampf Foto: SPD |
Von Sabine Röhrbein
Berlin – Der nächste Berliner Bürgermeister könnte schwul sein. Nach dem vorzeitigen Ende der Regierungskoalition aus SPD und CDU wird in der Bundeshauptstadt neu gewählt - erstmals in der Geschichte der Berliner Sozialdemokratie mit einem offen schwulen Spitzenkandidaten. Der Fraktionsvorsitzende Klaus Wowereit kann aber auch durch einen eventuellen Misstrauensantrag gegen den regierenden Bürgermeister Eberhard Diepgen neuer Bürgermeister der Hauptsdadt werden. Wowereit hat am Donnerstag Abend seine Homosexualität thematisiert und erklärt, dies im bevorstehenden Wahlkampf nicht verschweigen zu wollen. Das Outing des 47-Jährigen kam bei der gemeinsamen Sitzung von SPD-Landesvorstand und -Fraktion im Abgeordnetenhaus.
Noch etwas zu seiner Person wolle er sagen, meinte Wowereit, nachdem er auf die aktuelle Finanzkrise der Stadt eingegangen war und mögliche politische Perspektiven aufgezeigt hatte. „Ich bin schwul“, gab er offen zu und betonte, dass er deshalb nicht ausschließlich Homo-Politik betreibe, sondern einfach „nur“ ein „schwuler Politiker“ sei. Einstimmig nominierten Parteivorstand und Fraktion Klaus Wowereit anschließend zum Spitzenkandidaten. Zwar muss er noch durch den Landesparteitag am kommenden Sonntag, 10. Juni, gewählt werden, aber daran besteht kein Zweifel: Der Haushaltsexperte steht für den Generationswechsel in der SPD und vermag es, sich klar von dem in den vergangenen Tagen oft beschriebenen „West-Berliner Filz“ abzugrenzen. Während langgediente SozialdemokratInnen durch die zehn Jahre andauernde Große Koalition Schwierigkeiten haben werden, einen politischen Neuanfang glaubhaft zu machen, kann Wowereit genau dies gelingen. Sein Handicap: Die Zeit seit den vorigen Wahlen 1999 war zu kurz, um ihn in der Bundeshauptstadt und dem Rest der Republik wirklich bekannt zu machen, denn bis dahin führte der jetzige Senator für Schule, Jugend und Sport, Klaus Böger, die Fraktion.
CDU-Schlammschlacht
Fast zeitgleich zu Wowereits Nominierung eröffnete der Vorsitzende der CDU-Fraktion im Abgeordnetenhaus, Frank Steffel, in einer Sondersendung des SFB den Wahlkampf. Zuvor hatte er ein Plakat im Stil der „rote Socken“-Kampagne der Bundes-Union präsentiert. Die SPD wolle „mit den Kommunisten“ den Regierenden Bürgermeister Eberhard Diepgen abwählen. Wowereit habe ihn „menschlich enttäuscht“. Er hätte ihn „unter vier Augen belogen“. Steffel, Ziehsohn des zurückgetretenen früheren CDU-Fraktionschefs Klaus-Rüdiger Landowsky, der die Spendenaffäre seiner Partei, die Finanzkrise der mehrheitlich landeseigenen Bankgesellschaft und damit des Landes Berlins erst ausgelöst hatte, sagte wörtlich: „Ich habe auch aus den Sozialdemokraten Zitate über ihn gehört, die sich leider bestätigt haben. Er scheint charakterlich eben so zu sein wie er ist.“ Dies sei „unter Niveau“ und zeige, wie die CDU den Wahlkampf zu führen gedenke, so Klaus Wowereit vor laufenden Fernsehkameras.
Neuwahlen: Eine Chance für die Community
| Bernd Weinschütz, lesben- und schwulenpolitischer Sprecher der Grünen im Preußischen Landtag Foto: privat | Zum Auftakt des Wahlkampfes 1999 besiegelten die damaligen Fraktionsspitzen von SPD und Bündnisgrünen, Klaus Böger und Renate Künast, mit Sekt ihr Versprechen, Berlin gemeinsam zu regieren. Eine Chance für eine neue Homo-Politik tat sich auf, doch die Mehrheit der WählerInnen entschied damals anders. Mit vorgezogenen Neuwahlen aber könnte der Traum einer homofreundlichen Politik nun doch endgültig wahr werden. Eine rot-grüne Koalition entweder unter Beteiligung oder mit Duldung der PDS würde die in der Berliner Verfassung garantierte Gleichberechtigung von Schwulen und Lesben in allen Lebensbereichen weitaus stärker zu Realität werden lassen, als dies aktuell der Fall ist, so die Hoffnungen.
Es ist kein Geheimnis, dass die möglichen künftigen Koalitionspartner in der Vergangenheit mehrfach gegen die Stimmen der Christdemokraten Voten für die Community abgegeben haben. „Unabhängig von zahlreichen konkreten Veränderungen ist rechtlich eine ganze Menge möglich“, erklärte Bernd Weinschütz, lesben- und schwulenpolitischer Sprecher der Grünen, zum möglichen Planspiel rot-rot-grün im -Interview im April. „Bei der Frage von Aufenthaltsrechten binationaler homosexueller Paare entscheidet derzeit noch immer der CDU-Innensenator Eckart Werthebach - oft zu Ungunsten der Betroffenen. Mit einem grünen Senator sähe das anders aus.“
Was wird aus der Lebenspartnerschaft?
Mitte März brachten die Bündnisgrünen den Entwurf eines Ausführungsgesetzes zur Eingetragenen Lebenspartnerschaft ins Abgeordnetenhaus ein, der in den Rechtsausschuss überwiesen wurde. Dort hatte man sich vertagt, denn die CDU will lediglich eine Ausführungsvorschrift erlassen. Danach würden gleichgeschlechtliche Paare, die sich eintragen lassen, nur eine einfache Bestätigung über ihre Lebenspartnerschaft erhalten, anderen Verwaltungsvorgängen wie zum Beispiel der Kfz-Anmeldung nicht unähnlich. Bei einem Ausführungsgesetz erhalten die Paare aber auf jeden Fall Lebenpartnerschaftsurkunde und -buch wie das bei Eheleuten mit dem Familienbuch üblich ist. Eine Niederlage für die CDU zeichnete sich bereits ab: Die SPD wird für den Entwurf der Grünen stimmen, Klaus Wowereit tritt dafür ein, heißt es aus verlässlicher Quelle. Damit werden sich für die Berliner Homo-Paare die Pforten des Standesamtes öffnen. Allerdings ist in der derzeitigen Situation nicht klar, wann das Ausführungsgesetz wieder auf der Tagesordnung steht. Sicher ist nur, dass bis 1. August eine Regelung gefunden sein muss.
LeserInnen-Kommentare:
Endlich ein Politiker von Rang, der nicht so verdruckst à la "Schwesterwelle" herumeiert und eine Alibi-Freundin aus dem Hut zaubert, Respekt! Obwohl es ja auch wieder bezeichnend ist, daß von "bekennen" usw geredet wird - wäre es vorstellbar, daß irgendjemand sich auf einem Parteitag dazu bekennt: "Ich bin hetero"??? Eben! Soooo fabelhaft und easy wie manche Polit-Schwule tun, ist die Situation nämlich noch immer nicht. Gerade deshalb - vielleicht kennt jemand die e-mail Adresse der Berliner SPD oder von Wowereit; wir alle sollten ihm eine kleine mail schicken, nur mit dem einen Wort: Klasse!
Jan ( Eutychon@mail.homo.de | keine Homepage )
- Do., 14. Juni 2001, 02:52
Da hört man am Sonntag abend nur mal eben so die Tagesschau, Regierungskriese in Berlin, wen interresiert das noch um 23.00 Uhr, und dann die bekannten Worte... ich denk, mich tritt ein Pferd! Nur dann die Enttäuschung, in der örtlichen Presse (Westfälische Rundschau) verschwindet diese Nachricht irgendwo in dem ganzen Bericht unter "ferner liefen". Ich jeenfalls wünsche dem Kandidaten zum Regierenden Bürgemeister der SPD viel Glück für eine stabile politische Mehrheit in Berlin!
Ralf aus 58093 Hagen
Ralf ( ralue@surfeu.de | keine Homepage )
- Di., 12. Juni 2001, 13:31
Ja, das ist schon bemerkenswert. Und hier in Berlin ging in meinem Bekanntenkreis erst mal der Tuntenfunk los. Aber, liebe Sabine, die Formulierung kann ich nicht stehen lassen: "'Ich bin schwul', gab er offen zu, ..." Zugeben? Ist es nicht eher so, dass er sich halt noch einmal öffentlich dazu bekannt hat? Da musste er doch nix Schlimmes zugeben, mit einer unangenehmen Wahrheit rauskommen oder sowas. Das hätte ich in der Homo-Presse so nicht erwartet.
Georg Pickers ( der_georg@gmx.de | keine Homepage )
- So., 10. Juni 2001, 19:55
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